09
Feb
2024
In den medien Das Ifri in den Medien

Braucht Europa eine eigene Atomstreitmacht?

Unter einem US-Präsidenten Trump könnte sich Europa nicht sicher sein, dass Amerikas nuklearer Schutzschirm bestehen bleibt. Experten in Rüstungsindustrie und Politik diskutieren über drei Optionen.

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  • Sollte Donald Trump wieder Präsident der Vereinigten Staaten werden, steht das Schutzversprechen der USA für Europa infrage. 
  • Ein Ausweg für Europa könnte ein eigenes europäisches System der atomaren Abschreckung sein. Abseits der Öffentlichkeit hat die Debatte darüber bereits begonnen.
  • Frankreich ist die einzige EU-Atommacht und hat angeboten, seine Nuklearwaffen in ein europäisches System einzubringen. Aber andere Varianten könnten praktikabler sein.
  • Nicht nur in Europa facht die mögliche Rückkehr Trumps die Debatte über eigene Atomwaffen an. 

Der Bombenschacht öffnet sich im Morgenhimmel, kurz darauf durchzuckt ein Blitz das Cockpit, greller als jedes andere Licht der Welt. Eine „Wolke aus kochendem Staub und Trümmern“ – so sollte der Pilot Paul Tibbets später beschreiben, was vom Stadtzentrum von Hiroshima geblieben war.

Der Flug des silbergrauen B-29-Bombers am 6. August 1945 veränderte den Lauf der Geschichte. Der nukleare Schrecken trieb Japan in die bedingungslose Kapitulation und beendete den Zweiten Weltkrieg. In den Jahrzehnten danach reifte die Einsicht, dass es Waffen gibt, die so furchtbar sind, dass sie niemals mehr zum Einsatz kommen sollten.

Gilt diese Einsicht noch? Vor dieser Frage steht die Welt heute. Kremlherrscher Wladimir Putin hat im Ukrainekrieg mehrfach mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht, um die Europäer von der Unterstützung Kiews abzuhalten.

Zudem könnte im November Donald Trump zum US-Präsidenten gewählt werden – und damit möglicherweise die atomare Schutzgarantie der USA für Europa verloren gehen. Alte sicherheitspolitische Gewissheiten zerfallen wie instabile Isotope, das Undenkbare wird denkbar: Braucht Europa, braucht vielleicht sogar Deutschland ein eigenes Kernwaffenarsenal? 

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Die Abschreckung erreicht ihre Grenzen

Kernwaffen sind nicht nur die schrecklichste, sondern auch die wahrscheinlich paradoxeste Erfindung der Menschheit. Gerade weil ein Atomkrieg alles menschliche Leben auf der Welt auslöschen könnte, herrscht seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine historische Anomalie: Fast 80 Jahre Frieden zwischen den Großmächten. Die Bombe, sie ist beides: Massenmordinstrument und Friedensstifter. Ohne gegenseitige Vernichtungsdrohung wäre der Kalte Krieg kaum kalt geblieben.

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Option Eins: Macrons atomare Offerte
 
Das Schloss Karlberg im Norden von Stockholm beherbergt eine der ältesten Militärakademien der Welt. Seit 1792 durchlaufen Kadetten der schwedischen Streitkräfte in dem weißen Neoklassik-Palast einen Teil ihrer Ausbildung. Der aktuelle Jahrgang der Offiziersanwärter kam vor einer Woche in den Genuss einer besonderen Unterrichtseinheit: Emmanuel Macron, auf Staatsbesuch in Schweden, hält auf Schloss Karlberg eine Rede zur europäischen Verteidigungskooperation.
 
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Macron bleibt bei der Offerte an die Europäer wohl auch deshalb so vage, weil das Ende der alleinigen Entscheidungsgewalt über die „Force de frappe“, wie die eigene Atomstreitmacht in Frankreich genannt wird, für viele Landsleute ein Tabubruch wäre. Eric-André Martin vom Thinktank Institut Français des Relations Internationales sagt: „So schwer es Deutschland gefallen ist, die D-Mark für die europäische Einigung zu opfern, so schwer würde es auch Frankreich fallen, eine national ausgerichtete nukleare Abschreckung zugunsten einer Staatengemeinschaft in Europa opfern.“
 
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Fazit: Nichts tun ist die riskanteste Strategie

In den vergangenen 30 Jahren war Deutschland wohl eingebettet auf der Friedensinsel Europa. Das hat die Bereitschaft erlahmen lassen, über unerfreulichere Szenarien nachzudenken. Es gibt in der Bundesrepublik, anders als in den USA, noch nicht einmal einen „Designated Suvivor“: ein Regierungsmitglied, dass nicht dabei sein darf, wenn sich alle Spitzen des Staates an einem Ort aufhalten. Damit er oder sie die Amtsgeschäfte übernehmen kann, sollte die restliche Führungsmannschaft ausgelöscht werden.

 

 
 
Schlüsselwörter
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