05
Okt
2023
In den medien Das Ifri in den Medien
Meysse Nov. 2022: Luftaufnahme des Kernkraftwerks Cruas
Marc-Antoine EYL-MAZZEGA, zitiert von Matthias Krupa in Die Zeit

La grande panne

Frankreich hat sich oft an Deutschland gemessen und vor allem die wirtschaftlichen Erfolge bewundert. Die Deutschen konnten besser planen, besser haushalten, sie galten durchweg als vernünftig. Doch der Blick auf den Nachbarn hat sich verändert. Seit der Konflikt mit Russland die Schwächen des deutschen Wirtschaftsmodells offengelegt hat, seit die deutsche Wirtschaftsleistung schrumpft – in Frankreich wächst sie – und die Ampelkoalition schlingert, ist die Bewunderung umgeschlagen.

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»Die Arroganz der Ära Merkel ist zurück«, schrieb der konservative Figaro unlängst über das Berliner Auftreten in Brüssel. Auf vier Seiten analysierte die Zeitung die Schwierigkeiten der deutschen Wirtschaft (»la grande panne du modèle allemande«) und kommentierte die vermeintlichen Konsequenzen: »Deutschland ist bereit, alles zu tun, um den eigenen Vorteil zu bewahren. Dazu gehört auch, die Wettbewerbsfähigkeit seiner Partner auszubremsen, denn es ist unfähig, die eigene zu verbessern.« 

Das Ende der Gaslieferungen aus Russland und der Kampf gegen den Klimawandel haben Gegensätze zugespitzt, die schon länger existieren. Hier die Atommacht Frankreich, die demnächst noch einmal sechs neue Kernkraftwerke bauen will, aber nicht weiß, wo sie das Geld dafür hernehmen soll. Dort Deutschland, das in den vergangenen zehn Jahren versäumt hat, die für die Energiewende nötige Infrastruktur auszubauen. Und das seineen drei Atomkraftwerke abgeschaltet hat, obwohl die Energie gerade knapp ist. 

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"Für beide Länder steht viel auf dem Spiel, auf beiden Seiten ist die Unsicherheit daher groß" , sagt Marc-Antoine Eyl-Mazzega, der die Energieabteilung am Französischen Institut für Internationale Beziehungen (Ifri) leitet. Immer wieder komme es deshalb zu Konflikten. Ob es um die Bewertung privater Geldanlagen in der EU geht, die sogenannte Taxonomie, um Investitionen der Europäischen Investitionsbank oder um die Ausgestaltung des Strommarktes: Frankreich sieht die Nuklearenergie als Teil der ökologischen Transformation und will sie auch mit europäischer Hilfe fördern. Die Bundesregierung hingegen pocht auf dem Vorrang erneuerbarer Energien und möchte Investitionen in die Atomenergie nicht unterstützen.

So ist es auch bei der aktuellen Auseinandersetzung um den europäischen Strommarkt. Die Europäische Kommission hat im März Vorschläge für dessen Reform vorgelegt. Sie will Verbraucherinnen und Verbraucher besser vor Preisschwankungen schützen und ein neues Förderinstrument für die Energieproduktion schaffen. Hierfür sollen die Staaten mit den nationalen Stromerzeugern künftig sogenannte Differenz-Verträge schließen, das heißt eine Art Garantiepreis vereinbaren. Liegt der tatsächliche Marktpreis für Strom darunter, würde der Staat die Mehrkosten übernehmen, also die Unternehmen subventionieren. Liegt er darüber, müssten die Unternehmen die Differenz an den Staat abführen, die dieser dann investieren kann. Umstritten ist nicht das Prinzip, sondern die Frage, welche Energieformen und welche Kraftwerke auf diese Weise gefördert werden sollen. Der Vorschlag der Kommission spricht ausdrücklich von Anreizen bei »nicht fossiler Energieerzeugung«, schließt also Atomkraft ein. Die Bundesregierung fürchtet deshalb, die französische Regierung wolle dieses Instrument nicht nur nutzen, um neue Kernkraftwerke zu fördern, sondern auch um die Laufzeit ihrer alten, oft maroden Meiler zu verlängern. 

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Die Angriffe zeigen, wie sehr Deutschland mit seiner Energiepolitik in die Defensive geraten ist. Macron hat gerade erst angekündigt, die beiden letzten noch verbliebenen Kohlekraftwerke im Land bis 2027 auf Biomasse umzustellen. Frankreich wäre dann endgültig »kohlefrei«. In Deutschland laufen hingegen noch gut 130 Kohlemeiler. Ohnehin stoßen die Franzosen pro Kopf deutlich weniger Kohlendioxid aus als die Deutschen. Im vergangenen Jahr waren es nach Berechnungen des Global Carbon Project in Frankreich durchschnittlich 4,7 Tonnen, in Deutschland dagegen 8,1 Tonnen. Ein wesentlicher Grund dafür ist die Atomkraft: Knapp zwei Drittel des französischen Stroms werden nuklear produziert und sind weitgehend CO₂-frei.

Außerdem hat sich die Strombilanz zwischen beiden Ländern seit dem Frühjahr deutlich verändert. Im vergangenen Jahr hatte Frankreich Strom aus Deutschland importieren müssen, um die zahlreichen Ausfälle seiner Atomkraftwerke zu kompensieren. Mittlerweile sind die meisten französischen Meiler wieder am Netz – und Deutschland muss Strom aus dem Nachbarland importieren. 

ie französische Energieministerin Agnès Pannier Runacher hat deshalb in einem Interview mit dem Handelsblatt Richtung Berlin geschnappt: »Es ist ein Widerspruch, einerseits massiv französischen Atomstrom zu importieren und andererseits jeden Text und jede Gesetzgebung in der EU abzulehnen, die den Mehrwert dieser kohlenstoffarmen Energieform anerkennt.« Bis Ende des Jahres müssen sich Deutschland und Frankreich verständigt haben, damit die Reform des Strommarkts noch vor der Europawahl Illustration: Delia Wilms/ZEIT-Grafik verabschiedet werden kann.

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