18
Okt
2023
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Neue Impulse für festgefahrene Beziehungen – deutsch-französischer Ministerrat tagt im neuen Format Analysis, Friedrich-Naumann Stiftung, 18. Oktober 2023

Als am Mittwochabend des 4. Oktober in der Rue de Lille Nummer 78 die Tore des ehrwürdigen Hôtel Beauharnais in Paris geöffnet wurden und die Massen zum Festakt des Tags der deutschen Einheit in der Deutschen Botschaft in Paris einströmten, schienen die Meldungen um den aktuell schlechten Stand im deutsch-französischen Verhältnis fast schon realitätsfern anzumuten.

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Der mit knapp tausend Personen prall gefüllte Saal, der von dem neuen Botschafter Stephan Steinlein gebührend begrüßt wurde, trotze nur so vor engagierten Akteuren aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die allesamt besorgt und hoffnungsvoll auf den mit Spannung erwarteten deutsch-französischen Ministerrat vom 9. Und 10. Oktober in Hamburg blickten.

 

Von der deutsch-französischen Klausurtagung, von deren Ergebnisse ganz bewusst nur wenig nach außen drang und die stark von den Ereignissen in Israel überschattet wurde, kann ein positiver Impuls für die festgefahrenen deutsch-französischen Beziehungen ausgehen, indem in informeller Atmosphäre über strittige Themen gesprochen wird statt weiter groß angekündigte Versprechungen zu machen.

 

Denn an Vorhaben fehlt es nicht, wie das Projektheft des Aachener Vertrags zeigt. Auf kurze Vorträge einer Wissenschaftlerin und eines Start-up-Unternehmers, über die zwei großen Themenblöcke der Transformation unserer Gesellschaften durch den industriellen Wandel und den damit verbundenen  gesellschaftlichen Zusammenhalt auf der einen und die technologische Souveränität und die Anwendung von Künstlicher Intelligenz (KI) auf der anderen Seite folgten ausführliche Diskussionen der Kabinettsmitglieder. Bundeskanzler Olaf Scholz resümierte, dass die Diskussionen äußerst vertrauensvoll und aufrichtig verliefen. Doch mag dieser Bilderbuchausschnitt mit Fischbrötchen und Hamburger Elbfahrt des bilateralen Verhältnisses nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Unstimmigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich handfester Natur sind und sich trotz immer wieder geäußertem politischen Willen aller Voraussicht nach nicht einfach in Luft auflösen lassen werden.

 

Strukturprobleme der deutsch-französischen Beziehungen

Und auch wenn der deutsch-französische Dissens insbesondere immer wieder auf höchster politischer Ebene der Exekutive zu Tage tritt, wohingegen etwa im parlamentarischen Raum fortwährend die Einheit und der rege Austausch zwischen beiden Ländern betont wird, wäre es weit gefehlt zu glauben, dass die Beziehungsprobleme zwischen Deutschland und Frankreich nicht struktureller Natur wären. Schaut man einmal ins Dickicht der komplexen Beziehungen hinein, wird vielmehr schnell klar, dass trotz fortwährender Bemühungen von Jugendsprachaustauschen und Nachwuchsprogrammen tiefgreifende Unkenntnis bis gegenseitiges Missverständnis in der Breite der beiden Gesellschaften existieren. Davon zeugt der just vor dem deutsch-französischen Ministerrat angekündigte Abbau der Goethe-Kulturinstitute in Frankreich (darunter die wichtigen Städte wie Bordeaux, Straßburg und Lille), der dramatische Rückgang an Deutsch-Lehrkräften und Deutsch-Lernenden in Frankreich als auch der Abbau an Frankreich- bzw. Deutschland-Kompetenz in verschiedenen Forschungszentren, Stiftungen oder im universitären Kontext. Französische Studierende sind selbst in integrierten binationalen Studiengängen mittlerweile zur Rarität geworden, sodass beispielsweise deutsche Studierende, die ihren Bachelorstudiengang komplett in Frankreich absolviert haben, im Master als Franzosen gezählt werden (müssen). Insofern wäre es zu kurz gegriffen, dass fehlende Verständnis für das jeweilige Partnerland nur der politischen Ebene anzulasten.

 

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Im Energiebereich sind die Fronten ganz besonders verhärtet

Angesichts dieser Ausgangslage scheinen die tief ideologisch geführten Debatten insbesondere im Energiebereich über die Reform des europäischen Strommarkts zwischen Nuklearenergie auf der einen und erneuerbaren Energien auf der anderen wenig zielführend. Hier soll nun bis Ende Oktober eine Einigung auf europäischer Ebene gefunden werden, wie Staatspräsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz in ihrer gemeinsamen Presseerklärung am 10. Oktober ankündigten. Während eine eigentlich im April 2023 einberufene deutsch-französische Arbeitsgruppe zu Wasserstoff bislang nicht zu einer Annäherung in den Positionen führte, sollten sich Deutschland und Frankreich über ihre Komplementaritäten im jeweiligen Energiemix bewusst werden und ein besseres Verständnis des jeweils anderen entwickeln. Nur mit einer technologieoffenen Haltung können gemeinsame Investitionen in neue Technologien gelingen.

 

Gemeinsame Verteidigungsprojekte als Antwort auf neue geopolitische Herausforderungen

Aller spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist klar, dass alte Gewissheiten über angeblich verlässliche Partner wie Russland oder China obsolet geworden sind.In einer neuen Welt der Verschiebungen des Mächtekonzerts weg vom pax americana hin zu einer multipolaren Weltordnung ist eine gemeinsame geopolitische Vision und militärisch-strategische Orientierung Deutschlands, Frankreichs und der EU unabdingbar.

 

Zwar sind sich Deutschland und Frankreich grundsätzlich in ihrer Unterstützung der Ukraine einig, aber die Abstimmungsprozesse in der Außen- und Sicherheitspolitik, die in dem vor fast fünf Jahren geschlossenen Aachener Vertrag eng vorgesehen sind, laufen in der Tat oftmals mehr auseinander als zusammen.

 

Immer wieder zeigt sich Deutschland zögerlich, wenn es um die Lieferung von neuen Waffen geht und muss sich erst von Frankreich überzeugen lassen, den nächsten Schritt zu gehen. Und auch wenn Deutschland von seiner ursprünglichen Ankündigung, lediglich Helme und Schutzausrüstung zu liefern, mittlerweile bei Leopard 2-Panzern angekommen ist, was als einigermaßen beträchtliche Entwicklung angesehen werden kann, ist es immer noch vorwiegend damit beschäftigt, seine eigene Militärfähigkeit wiederherzustellen statt strategisch vorausschauend Geopolitik zu betreiben.

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Reformen der EU zum Anlass nehmen, um eine positive deutsch-französisch Agenda zu formulieren

Anlässlich des deutsch-französischen Ministerrats vom 22. Januar wurde eine deutsch-französische Expertengruppe eingerichtet, um Empfehlungen für institutionelle Reformen der Europäischen Union zu erarbeiten, die nun ihren Bericht den beiden Staatsministerinnen für Europa, Anna Lührmann und Laurence Boone vorstellte. Darin werden verschiedene Szenarien von grundlegenden Vertragsänderungen im Rahmen eines europäischen Konvents, der realistisch nicht vor 2030 stattfinden würde bis zu inkrementellen Reformschritten im Rahmen der bestehenden Verträge skizziert als auch konkrete Vorschläge zur demokratischen Verfasstheit und für mehr Effizienz der europäischen Entscheidungsprozesse gemacht. Besonders am Herzen liegt dabei Deutschland, von der Einstimmigkeit zur qualifizierten Mehrheit überzugehen. Doch dabei ist trotz grundsätzlicher Beteuerung Frankreichs, diesen Schritt ebenfalls gehen zu wollen, nicht ausgemacht, inwieweit Frankreich wirklich bereit wäre, insbesondere in der domaine reservé des französischen Präsidenten, der Außen- und Sicherheitspolitik, seine nationalen Prärogativen gänzlich aufzugeben und ggf. von Deutschland in Brüssel überstimmt zu werden.

 

Ebenfalls unklar sind die deutschen und französischen Vorstellungen angesichts einer anstehenden Erweiterung der EU und den im Bericht skizzierten vier konzentrischen Kreisen verschiedener Integrationsstufen innerhalb und außerhalb der EU, darunter die Europäische Politische Gemeinschaft. 

 

Aus diplomatischen Kreisen heißt es, es herrsche selbst innerhalb des Elysée keine genaue Vorstellung davon, wie dieses von Emmanuel Macron in seiner Rede zum Europatag vor dem Europäischen Parlament am 9. Mai 2022 ausgerufene Format institutionell weiter verankert werden soll.

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>>>  Vollständiger Artikel auf der Webseite der Friedrich-Naumann Stiftung

 

Schlüsselwörter
Deutsch-französische Beziehungen Deutsch-französische Zusammenarbeit Emmanuel Macron Energiepolitik Künstliche Intelligenz Olaf Scholz Deutschland Europa