Nie wieder Fischbrötchen? Merz und Macron produzieren schöne Bilder – wo es trotzdem hakt
In Toulon tagt der deutsch-französische Ministerrat. Friedrich Merz und Emmanuel Macron betonen ihr gutes Verhältnis. Doch Konflikte gibt es genug.
Sie sind sich schnell einig, der groß gewachsene Deutsche und der kleine Franzose. Gemeinsam wollen sie der Bedrohung im Osten begegnen, die Sicherheit Europas stärken, sich eng abstimmen. Dafür hat der französische Präsident den deutschen Kanzler extra in seine Sommerresidenz auf die Halbinsel Fort Brégançon eingeladen. Dort, am Mittelmeer, beschließen sie, einen direkten Draht einzurichten, ein rotes Telefon zwischen Paris und Bonn.
40 Jahre ist das jetzt her. Nur eine Episode einer politischen Freundschaft, die Europa geprägt hat. Der eine bekam die Einheit, der andere den Euro. Helmut Kohl und François Mitterand dachten in entscheidenden Fragen deutsch-französisch, trotz nationaler Interessen und Differenzen. Sie agierten Hand in Hand, nicht nur sprichwörtlich, ikonografisch fotografiert auf den Schlachtfeldern von Verdun.
Donnerstagabend, gleicher Ort, ähnliche Themen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron empfängt Friedrich Merz im Fort Brégançon zum Abendessen. Es geht um die Sicherheitsgarantien für die Ukraine, um den Krieg in Gaza, um die jüngsten Zoll-Forderungen von US-Präsident Donald Trump – alles Krisen-Themen. Wieder einmal kommt es in Europa auf die politische Führung in Deutschland und Frankreich an. Finden sie keine gemeinsame Linie, gibt es keine Linie. So einfach ist das.
Merz und Macron mögen sich. Der CDU-Politiker war schon als Oppositionsführer zu Besuch im Pariser Elysée-Palast. Man fand schnell eine gemeinsame Ebene. In Frankreich schätzt man Merz als Politiker, der in historischen Bögen denkt. Als einen Mann der verbindlichen Geste, der die Macht politischer Symbolik zu nutzen weiß. Der nicht im Kleinklein von Spiegelstrich-Vereinbarungen denkt – anders als sein Vorgänger.
Merz ist erst der zweite Kanzler nach Kohl, den ein französischer Präsident auf den Sommersitz eingeladen hat. Angela Merkel war 2018 dort zu Gast. Olaf Scholz nie. Der Sozialdemokrat und Macron waren stets um ein gutes Verhältnis bemüht. Betonung auf: bemüht. Macron ließ nichts unversucht, lud Scholz etwa zum Essen in seine Pariser Lieblings-Brasserie ein, zweimal sogar. Das Essen muss hervorragend gewesen sein. Der Rotwein auch, jedenfalls erlebten deutsche Journalisten auf dem Rückflug nach Berlin einen erstaunlich gut gelaunten Kanzler. Doch es half wenig.
Vom Duo „Schocron“ bleibt vor allem eine Szene in Erinnerung: wie das Ehepaar Macron beim Besuch in Scholz‘ Heimat Hamburg ein Fischbrötchen probiert. Kein schönes Bild. Und ein emotionaler Tiefpunkt im Verhältnis beider Regierungen.
Mit Merz soll das anders werden. Der deutsch-französische Motor läuft wieder. Und er läuft wie frisch geölt und geschmiert. Das ist das Signal, das vom Abendessen am Mittelmeer ausgehen soll – und vom Ministerrat mit jeweils zehn Kabinettsmitgliedern, der sich am Freitag in Toulon anschließt. Merz will nicht nur über Verteidigung diskutieren, sondern auch über die europäische Wirtschaftspolitik und Wettbewerbsfähigkeit. Es wird ein paar schöne Bilder geben, Einigkeit und Brüderlichkeit in angespannten Zeiten. Und am Ende sollen „Fahrpläne“ stehen, wie man bei gemeinsamen Projekten künftig vorankommen möchte.
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Alles nur Fassade? Nicht unbedingt. Schon vor dem Ministerrat lässt sich feststellen, was sich seit dem Regierungswechsel in Deutschland verändert hat. „Der deutsch-französische Reflex funktioniert wieder“, sagt Jeanette Süß, Research Fellow beim Studienkomitee für deutsch-französische Beziehungen in Paris. „Es gibt einen neuen politischen Willen, sich vor großen außen- und handelspolitischen Entscheidungen abzustimmen.“ Das gelte nicht nur für Merz, Macron und die Minister, sondern auch für die Arbeitsebene in den Ministerien. „Wir können beobachten, dass da viel gezielter Kontakte gesucht werden.“

Research Fellow, Studienkomitee für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) am Ifri
Während der Amtszeit von Olaf Scholz fühlten sich die Franzosen bisweilen überrumpelt von deutschen Alleingängen, etwa beim „Doppel-Wumms“, mit dem die Ampelregierung auf den Energiepreis-Schock nach dem russischen Überfall auf die Ukraine reagierte. Merz hat sich vorgenommen, dass ihm so etwas nicht passiert. Doch mit ein bisschen gutem Willen sind die Konflikte im deutsch-französischen Verhältnis nicht beigelegt. Da schwelt viel im Hintergrund, was in Toulon nicht ganz bewusst nicht auf der Tagesordnung steht.
Nie wieder Fischbrötchen? Das wird harte Arbeit.
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„Das Thema ist so heiß“
Merz hatte zuletzt immer mal wieder Zuversicht geäußert, dass sich die Franzosen bei Mercosur doch bewegen könnten. Dass gar eine neue Dynamik bei Freihandelsabkommen möglich wäre. Macron lächelte solche Avancen weg. Der französische Präsident kennt die Einschätzungen von Ökonomen, dass auch sein Land von Mercosur profitieren würde. Aber dass er das Abkommen doch noch unterzeichnet? Unwahrscheinlich.
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„Das Thema ist so heiß, es wäre ein völliger politischer Gesichtsverlust für den Präsidenten“, sagt Politikwissenschaftlerin Süß. Macron habe das Image des neoliberalen Bankers in Frankreich nie abschütteln können. Er könne sich nicht erlauben, „dass man ihm vorwirft, die Zukunft der französischen Bauern nach Südamerika verkauft zu haben.“

Research Fellow, Studienkomitee für deutsch-französische Beziehungen (Cerfa) am Ifri
Ohnehin ist die innenpolitische Situation für Macron unverändert heikel. Seit Wochen gibt es einen Aufruf zu einem Generalstreik und Protesten in Frankreich am 10. September. Wer dahintersteht, ist unklar. Zwei Tage vorher schon muss sich Premier François Bayrou im Parlament der Vertrauensfrage stellen. Er steht wegen des Haushalts für 2026 in der Kritik, in dem er 43,8 Milliarden Euro einsparen will. Verliert Bayrou die Abstimmung, muss Macron eine neue Regierung ernennen – es wäre die achte seiner Amtszeit. Dann sehen die deutschen Minister am Freitag in Toulon ihre französischen Pendants gleich zweimal: zum ersten und zum letzten Mal.
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Den Artikel auf der Website von WirtschaftsWoche.
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