Das Ende einer glücklichen Zeitfenster. Wie der Krieg in der Ukraine Deutschland zwingt, sein Modell zu überdenken
Die Periode des Friedens, des wirtschaftlichen Wohlstands und der politischen Stabilität, die Deutschland seit dem Ende des Kalten Krieges erlebt hat, geht mit dem Ukraine-Krieg zu Ende. Der durch diesen Konflikt verursachte Schock traf vor allem die Wirtschaft, auf die Berlin seine Macht, sein internationaler Einfluss und seine Identität aufgebaut hatte.

Die Rückkehr des Krieges nach Europa hinterlässt ein Land, das in seinen Orientierungspunkten erschüttert, in seinem Wohlstand geschwächt und in seinem Vertrauen in die Zukunft beschädigt ist. Die Wettbewerbsfähigkeit des Produktionsstandorts Deutschland wird in Frage gestellt. Das Land ist dem Risiko der Deindustrialisierung und der wirtschaftlichen Stagnation ausgesetzt. Inwieweit wird die Regierungskoalition ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellen können, ähnlich wie die von Bundeskanzler Schröder Anfang der 2000er Jahre eingeleiteten Reformen? Die Definition eines Modells für eine dekarbonisierte Wirtschaft wird ein entscheidender Faktor sein. Es muss sowohl global wettbewerbsfähig sein als auch das soziale Gleichgewicht respektieren. Sollen dann die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft und des Ordo-Liberalismus angepasst werden? Muss der Staat sich in der Industrie- und Handelspolitik gegenüber dem Markt bekräftigen?
Durch die Entscheidungen, die in Bezug auf den Energiemix, die Modernisierung seiner Wirtschaft und die Sozialpolitik getroffen werden, stellt Deutschland ein Laboratorium für Europa dar. Die Fähigkeit Deutschlands, seine traditionellen Ziele der Finanzstabilität mit dem Ausdruck einer Form der europäischen Solidarität zu vereinbaren, ist in dieser Hinsicht eine Kernfrage.
Auch wenn die Herausforderungen beträchtlich sind, behält Deutschland weiterhin große Vorteile. Vor allem durch seiner Finanzkraft, seinem Innovationspotenzial und seiner industriellen Basis, aber auch durch die Stärke seiner Institutionen. Es hat bereits Anfang der 2000er Jahre seine Fähigkeit bewiesen, eine schwierige Situation zu seinen Gunsten zu wenden. Angesichts seiner zentralen Lage in Europa und seiner breiten internationalen Öffnung hängt der Weg Deutschlands auch weitgehend davon ab, wie es die Entwicklung seines internationalen und europäischen Umfelds wahrnimmt. Zeuge von einem gewissen Pragmatismus ist die Arbeit, die Deutschland seit Beginn des Ukraine-Krieges, unternommen hat. Ziel war es, sich gegenüber den USA und der NATO rückzuversichern, die Kapazitäten seiner Streitkräfte aufzuholen und seine Industriepartnerschaften neu zu positionieren.
Éric-André Martin ist Generalsekretär des Studienkomittees für die deutsch-französischen Beziehungen (Cerfa) beim Ifri.
Diese Publikation ist auf Französisch verfügbar: La fin d’une parenthèse heureuse. Comment la guerre d’Ukraine contraint l’Allemagne à repenser son modèle (pdf).
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