22
Jan
2021
In den medien Das Ifri in den Medien
Éric-André MARTIN, Von Magdalena Pistorius | EURACTIV.fr

Von Chirac bis Macron: Die vier deutsch-französischen Duos der Ära Merkel

Während ihrer 16-jährigen Amtszeit hat die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel mit vier verschiedenen französischen Staatspräsidenten zusammengearbeitet. EURACTIV Frankreich wirft einen Blick zurück auf diese vier „Führungspaare“ im Mittelpunkt der deutsch-französischen Beziehungen.

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Nachdem sie 2005 ihr Amt angetreten hatte, wurde Angela Merkel bald zum Inbegriff der Stabilität in Europa. Während in Frankreich seit 2007 insgesamt vier Präsidenten aufeinander folgen, absolviert die Bundeskanzlerin derzeit ihre vierte Amtszeit in Folge. Bei ihrem diesjährigen Abtritt wird sie 16 Jahre lang das Herzstück dessen gewesen sein, was gerne als deutsch-französischer „Motor der EU“ bezeichnet wird.

Auch wenn die deutsch-französische Zusammenarbeit auf einem breiten Beziehungsgeflecht auf allen Ebenen des politischen Apparates aufbaut, hat das Duo der beiden Staats- bzw. Regierungschefs einen hohen Symbolcharakter.

  • „Dieses Paar ist sehr wichtig für die Vermittlung und Verkörperung der deutsch-französischen Beziehungen,“ sagt auch Éric-André Martin, Generalsekretär des Comité d’études des relations franco-allemandes (Cerfa) am französischen Institut für Internationale Beziehungen (Ifri).

„Die Qualität der Beziehung zwischen diesen beiden Persönlichkeiten ist ein entscheidender Faktor für die öffentliche Meinung über die deutsch-französischen Beziehungen“, fügt er hinzu.

In den vergangenen 16 Jahren hat diese Beziehung Höhen und Tiefen durchlaufen – und regelmäßig die Frage nach dem Gleichgewicht zwischen französischen und deutschen Interessen aufgeworfen.

Angela Merkel – Jacques Chirac (2005-2007)

Das erste dieser Duos, in dem Angela Merkel Teil war, bildet sie mit Jacques Chirac. Die Kanzlerin kommt „in einer schwierigen Zeit für Europa und für Frankreich“ an die Macht, so Martin: Kurz nach dem Scheitern des Projekts einer EU-Verfassung, das in Frankreich per Referendum abgelehnt wurde.

Der französische Präsident ist dadurch geschwächt, scheint aber zunächst gegenüber der deutlich jüngeren Kanzlerin zu dominieren. „Viele Menschen haben Angela Merkel unterschätzt,“ sagt der Experte heute. In Frankreich habe ihr das Bild „irgendeiner jungen Frau aus dem Osten“ angehangen; sie habe als „schüchtern“ gegenüber dem „Charmeur“ Chirac gegolten.

Offensichtlich unterschätzte man die deutsche Kanzlerin, die seit 2006 durchgängig die jährliche Forbes-Liste der mächtigsten Frauen der Welt anführt (Sie steht aktuell zum fünfzehnten Mal in Folge auf Rang eins).

Dennoch hatte die Kanzlerin wohl „Glück“, auf einen Präsidenten zu treffen, der bereits sehr erfahren in den deutsch-französischen Beziehungen und auf der europäischen Bühne war, meint Frank Baasner, Direktor des Deutsch-französischen Instituts (dfi) in Ludwigsburg. Chirac habe „gerne mit Deutschland zusammengearbeitet“ – und erleichterte es Merkel somit, ihren Platz in einer bereits gut etablierten Struktur einzunehmen.

Angela Merkel – Nicolas Sarkozy (2007-2012)

Eine Struktur, die den Nachbarinnen und Nachbarn westlich des Rheins oft Geduld abverlangt: Wie Baasner weiter erklärt, ist die Funktion des französischen Präsidenten sehr viel hierarchischer und machtvoller als die der Bundeskanzlerin in Deutschland. Insbesondere ist die deutsche Regierungschefin mehr institutionellen Bindungen und Verpflichtungen unterworfen. Das Ergebnis: „Wir sehen oft einen handlungsbereiten und -gewillten [französischen] Präsidenten, der sich über das schwache Echo von deutscher Seite wundern muss.“

Das Duo, das die Kanzlerin mit Nicolas Sarkozy ab 2007 bildete, ist ein perfektes Beispiel dafür: Man habe beobachten können, „wie zwei unterschiedliche Temperamente aufeinanderprallen“, so Baasner – „der junge und dynamische Habitus des Präsidenten und der ruhige, bedächtig-nüchterne Charakter der Kanzlerin, gegen den Sarkozy seinen betont maskulinen Charme überhaupt nicht zur Geltung bringen konnte.“

Der neue Präsident Frankreichs „wollte vieles ändern, aber er hatte keine Geduld mit den Deutschen. Er musste schmerzlich feststellen, dass die Entscheidungsfindung in Deutschland schlichtweg nicht so einfach ist,“ fasst der Forscher zusammen.

Die Euro- und dann die sogenannte Staatsschuldenkrise stellten das neue deutsch-französische Duo auf eine harte Probe. Letztendlich brachten sie die beiden Staats- und Regierungschefs jedoch näher zusammen. Das führt sogar zur Stilblüte „Merkozy“. In dem Bewusstsein, dass der eine nicht auf die andere verzichten kann, überwanden der Präsident und die Kanzlerin ihre anfänglichen Differenzen und „schafften es, die zwischenstaatlichen Scherben aufzukehren, um den Zerfall des Euro zu vermeiden“, so Martin.

Insgesamt habe „Merkozy“ damit ein starkes Bild der deutsch-französischen Solidarität und Kooperation vermittelt.

Nichtsdestotrotz verdeutlichte dieser Zeitraum auch einmal mehr das Ungleichgewicht zwischen den beiden Partnern: Deutschland schafft es, seine Wirtschaft sehr schnell wieder auf die Beine zu bekommen und dabei weniger Schulden anzuhäufen als Frankreich. Mit seiner „wirtschaftlichen und finanziellen Großmachtstellung“ in der EU behauptete sich Deutschland als „absolute Macht“ bei der Bewältigung der Krisenfolgen.

Angela Merkel – François Hollande (2012-2017)

Mit der Wahl von François Hollande im Jahr 2012 nehmen die Spannungen an der Wirtschafts- und Finanzfront jedoch wieder zu. Hollande wendet sich gegen das von Merkel (und insbesondere Bundesfinanzminister Schäuble) propagierte Austeritätsprogramm und kündigt an, den Stabilitäts- und Wachstumspakt neu verhandeln zu wollen.

Am Ende wird das Verhältnis aber erneut besser: „Der gute Wille war nach wie vor da und wir lernten wieder voneinander,“ so Baasner.

Die Frage der ausgeglichenen Balance blieb dennoch: Frankreich, das sich nach wie vor in einer schlechten wirtschaftlichen Lage befand, führte Reformen durch, deren spürbare Auswirkungen jedoch nur langsam eintraten. Auch mangels überzeugender Maßnahmen auf französischer Seite habe Merkel lange bei der Frage gezögert, welchen Kurs sie in Sachen Europa einschlagen solle, meint der dfi-Direktor.

Wieder einmal sind es Krisen, die die Merkel und einen französischen Präsidenten zusammenbringen: Die Teilnahme der Kanzlerin an den Paraden in Paris nach dem Anschlag auf das Magazin Charlie Hebdo im Jahr 2015 seien ein „starkes Bild, das die Solidarität mit den Französinnen und Franzosen unterstrich“ gewesen, so Martin.

Auch auf der internationalen Bühne engagierte sich das deutsch-französische Führungsduo gemeinsam, insbesondere für eine koordinierte EU-Antwort auf die Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland.

Last but not least habe Hollande sich im Bereich Erinnerungspolitik ebenfalls bemüht, „die Schwierigkeiten, die mit unserer gemeinsamen Geschichte verbunden sind, weiter zu überwinden“, so der französische Experte.

Angela Merkel – Emmanuel Macron (2017-2021)

Nach den eher lauwarmen Jahren der Ära Merkel-Hollande weckt der Einzug von Emmanuel Macron in den Élysée Hoffnungen auf einen dynamischen Aufschwung. Auf deutscher Seite gibt es „viele positive Erwartungen“ an die Wahl eines französischen Staatsführers, „der Europa in den Mittelpunkt seines präsidialen Projekts und das deutsch-französische Verhältnis wiederum in den Mittelpunkt des europäischen Projekts stellt“, erklärt Martin.

Macron unternahm tatsächlich umgehend das, was man in Deutschland als „Charmeoffensive“ bezeichnen dürfte, sagt auch Baasner. Der Präsident habe sich umgehend „mit Leuten umgeben, die gut Deutsch sprechen. Noch nie gab es eine französische Regierung mit so viel Erfahrung, Sympathie und Kompetenz in Bezug auf Deutschland.“

Aber: Wieder einmal folgt Angela Merkel ihrem eigenen Ansatz – „beobachten und warten, ob großen Worten tatsächlich Taten folgen“, so Martin. Diese merkel-deutsche Haltung wurde (und wird) in Frankreich oftmals als Kaltschnäuzigkeit wahrgenommen: Es habe sich das Gefühl verfestigt, viele französische Initiativen seien „von Deutschland schlichtweg ignoriert“ worden, warnt der französische Experte.

Die aktuelle Gesundheitskrise dürfte die Situation noch einmal verändern: „Die deutsch-französische Initiative zur wirtschaftlichen Erholung der EU [vom 18. Mai 2020] trägt die Handschrift von Angela Merkel und Emmanuel Macron“, sagt Baasner. Einmal mehr zeige sich die Macht des deutsch-französischen Duos und die Fähigkeit, seine Rolle als „treibende Kraft“ innerhalb der Europäischen Union wahrzunehmen.

Präsidenten und Kanzlerinnen gehen, Stabilität bleibt

Eins scheint diesen vier Duos, die diverse schwierige Momente der vergangenen Jahre durchgangen haben, unabhängig von den einzelnen Persönlichkeiten gemeinsam zu haben:

  • „Jedes Mal, wenn wir uns in einer Krise befanden, waren wir irgendwie in der Lage, einen Kompromiss zu finden, einen Schritt auf den anderen zuzugehen, um der Situation gewachsen zu sein,“ so Martin abschließend. „Sobald es ein ernstes Problem gab, schafften wir es, das Richtige zu tun.“

„Wenn der Druck hoch genug ist, funktioniert es immer,“ meint auch Baasner. Trotz der Höhen und Tiefen und trotz der doch sehr unterschiedlichen Persönlichkeiten, die das deutsch-französische Duo im Laufe der vergangenen Jahre geprägt haben, „ist die Architektur der deutsch-französischen Zusammenarbeit konstant und sehr stabil,“ meint er.

Genauso wie die berühmte (und berüchtigte) Konstanz Angela Merkels in den vergangenen 16 Jahren.

 

Diese Interview ist auch auf Französisch verfugbar: "De Chirac à Macron : les 4 « couples » franco-allemands de l’ère Merkelauf der Website von EURATIV.

 

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